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It Wasn’t Us – Katharina Grosse im Hamburger Bahnhof | Berlin 2020

Wir sind in der Zukunft.

Ein Objekt ist gelandet, mit ordentlich Wumms. Was man den Schraffuren auf dessen Oberfläche ansieht: Sie erzählen von Reisen in Lichtgeschwindigkeit, von großen Entfernungen.

Was zuerst so dynamisch wirkt wie ein Meteorit, ist dafür viel zu groß: er wäre beim Aufprall zersprungen – doch das monumentale Objekt ist zwanzig Meter lang und bestimmt sieben, acht Meter hoch – und ist im Ganzen geblieben – bis auf ein kleineres Absprengsel, das weiter nach vorne in die Historische Halle des Hamburger Bahnhof in Berlin geschleudert wurde.

Meteor Storm 1833 | Edmund Weiß | Bilderatlas der Sternenwelt – Symbolbild für die besprochene Ausstellung, da die VG Bild/Kunst, an die ich auf meine Anfrage zur Nutzung meiner eigenen Fotos an das Studio Grosse verwiesen wurde, davon ausgeht dass „Berichterstattung“ auch 2020 ausschließlich durch Presse, TV und Radio geschehen kann ¯\_(ツ)_/¯ – den Redaktionen würde ggf. Material gestellt werden, bzw. können die ihr Material kostenfrei nutzen.

Das Objekt selbst ist überlagert von einem knall-buntem Farbfeld, das sich nicht nur über den Boden der Halle, sondern auch auf den Außenbereich erstreckt. Leuchtende, sehr kräftige Farben. Von Ferne ist der Übergang der großen Farbflächen vom Objekt auf den Boden gar nicht überall zu erkennen, es wirkt wie aus einem Guss, wie eine Gestalt.

Abbildung ähnlich:
Katharina Grosse – It Wasn’t Us
(Sorry für’s assoziative Improvisieren: Die Nutzung meines eigenes Fotos hätte pro Jahr mindestens 24 Euro gekostet
Google kann auf der Suche nach Bildern der Ausstellung sicher weiterhelfen)

Das helle Gelb, das klare Blau und das kräftige Rot springen zuerst ins Auge. Viel Grün und Lila – auf den ersten Blick: Alles ganz schön bunt hier, das ist kein postapokalyptisches Mad Max, Fury Road, in staubigen Erdtönen, sondern das genaue Gegenteil: ein gigantischer Tripp im satten Farbrausch. Wer sich die Zeit nimmt und genauer hinschaut, findet aber auch ganz feine, fast filigrane Abstufungen, die zarten, pastellig rosa- und pistazien-farbenen Sedimentschichten. Die liegen etwas versteckter in den vielen Nischen dieses unbekannten Flugobjekts.

Symbolbild der in der Ausstellung vorhandenen Farben – J. W. Goethe | Farbenlehre 1810

Es gibt bewusst nicht „die eine“ Schauperspektive, aus dem das Gemälde, das Objekt, das Kunstwerk, im Ganzen erfasst werden kann oder sollte. Es erschliesst sich durch die Zeit, die ich mit ihm verbringe. Es wirkt durch die Kontraste. Den Graffiti-Style, der durch die Farbspritzpistole erzeugt wurde und die fast schon sakrale Stimmung in der Historischen Halle, die wie eine Basilika wirkt, da das Hauptschiff deutlich höher als die beiden Seitenschiffe ist.

Foto: Kixka Nebraska – Hamburger Bahnhof | Historische Halle | August 2020

Nicht dass es mucksmäuschenstill ist – aber die Inszenierung mit den dunklen Streben vor den weißen Wänden, die Menge an gerafftem Vorhangstoff, durch die die Besucher:innen in den Raum schreiten, um ein einziges Werk aufzusuchen: Da greift eins ins andere. Auch wenn sicherlich nicht alle Anwesenden sieben Mal wie in Mekka um die Kaaba pilgern, so werden nur sehr Eilige es bei einem einzigen Rundgang belassen. Ich selbst bin drei bis vier Mal um das UFO herum, jedes Mal neue Perspektiven und andere visuelle Narrative entdeckend. Mindestens an einer Stelle sieht die Skulptur wie ein Portal in eine andere Welt aus.

Warum ist „It Wasn’t Us“ so besonders?

Neben dem sehr starken Reiz, der durch den so kontrastreichen Gebrauch von Farbe, Form und Struktur ausgelöst wird, ist es die fast unfassbare Dimension: Das Werk ist nicht nur unmöglich mit einem Blick zu erfassen, es bietet auch auf jedem Meter eine neue Perspektive. Damit steht es sehr jetzt-zeitig auch für die Idee, dass es keine Eindeutigkeit mehr gibt, dass es notwendig ist, andere Blickwinkel einzunehmen, um das Ganze auch nur ansatzweise verstehen zu können. Neben dem Raum-greifenden Aspekt spielt auch die Zeit eine Rolle, da das Licht im Tages- und Jahreszeitenverlauf das Objekt und das umgebende Farbfeld nochmals ganz unterschiedlich wirken lassen werden.

Ist es wichtig, zu erwähnen, dass das Werk von einer Frau ist?

Ja und nein. Ich brauchte einen Moment, um meine Begeisterung, dass so etwas kraftvoll Monumentales von einer Frau erschaffen wurde, zu verarbeiten. Wow. Für Katharina Grosse ist das in dem Sinne nichts besonderes, da sie in der Regel so oder ähnlich großformatig arbeitet. Da es meine erste bewusste Begegnung mit einem ihrer Werke war, erfasste mich die ganze Wucht, die Kraft und das visuelle Tempo: Fury Road. Das ist groß gedacht und großartig umgesetzt. Das gefällt mir auch wegen der Vorbildfunktion: Groß zu denken und Großartiges umzusetzen. Hingehen!

Katharina Grosse – It Wasn’t Us

Berlin | Hamburger Bahnhof noch bis zum 10. Januar 2021 – Der Ausstellungsraum liegt keine zehn Minuten zu Fuß vom Berliner Hauptbahnhof entfernt, so dass ein Zwischenstopp dort sehr gut eingeplant werden kann. Zeitfenster-Tickets müssen vorbestellt werden! Wer es vor den weiteren Corona-Wellen noch schafft: unbedingte Empfehlung und ausreichend Zeit einplanen. Ich werde versuchen, es mir noch ein zweites Mal anzusehen…


Kulturt/r/ipp Sound: Planet Claire // B-52’s

She came from Planet Claire
I knew she came from there
She drove a Plymouth Satellite
Oh, faster than the speed of light
Planet Claire has pink air
All the trees are red

No one ever dies there
No one has a head


Photo by isabel garger on Unsplash

Photo by Dmirty Fisenko on Unsplash

Photo by Tom Gainor on Unsplash

Photo by Guillaume Joseph on Unsplash

Photo by Sreenivas on Unsplash

Photo by Jaanus Jagomägi on Unsplash

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